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Tongatapu mit der Hauptstadt Nukualofa hat unter Seglern keinen guten Ruf. Im Hafen gibt es Ratten, die Behörden sind schwer zu finden und die Beamten unfreundlich - so sagt man. Wir sind froh, dass wir trotzdem hergekommen sind.

Winfried versorgt die deutschsprachigen Segler im westlichen Pazifik mit Wetterbericht und Revierinformationen. Seit acht Jahren ist er mit seinem Boot "Annamaria" unterwegs zwischen Tonga, Neuseeland, Fidji, Vanuatu und wie die schönen Plätze sonst noch heißen. Er beschäftigt sich leidenschaftlich und intensiv mit den Wetterentwicklungen in dieser Region und bemüht sich, für alle Segler ein geeignetes Wetterfenster für die jeweilige Überfahrt zu finden. Täglich um 20 Uhr UTC meldet sich seine Stimme über Kurzwelle auf 10090 kHz. Nach der allgemeinen Wetterübersicht bekommen alle Boote ihr individuelles Routenprofil. Mit den Vorbereitungen und der Zeit am Funkgerät ist Winfried sicher jeden Tag mehr als zwei Stunden beschäftigt. Ehrenamtlich versteht sich - vielen Dank!

Um vier Uhr morgens sehe ich schräg voraus an backbord einen schwachen Schein. Das müssen die Ankerlichter der Boote im Minerva-Riff sein. Um sieben Uhr sind wir auf Höhe der Riffeinfahrt und wissen immer noch nicht, ob wir abbiegen sollen. Gerne würden wir Winfrieds Vorhersage abwarten, sein Funknetz beginnt aber erst in einer Stunde. Über UKW rufe ich unsere Freunde von "Kestrel", die mit einigen anderen uns gut bekannten Seglern seit Tagen an diesem abgelegenen Ort auf das ideale Wetterfenster warten. "Es ist schön hier, kommt doch rein", meint Isolde. Sie vertreiben sich die Zeit mit schnorcheln, Riffspaziergängen bei Niederwasser und gemeinsamen Grillabenden. Die herrlichen Tomaten und frischen Früchte, die wir vom Markt in Nukualaofa an Bord haben, wären dabei recht willkommen.

Mit sechs Knoten Fahrt seglen wir durch die Nacht. Ich suche gewissenhaft alle fünfzehn Minuten den Horizont ab für den unwahrscheinlichen Fall, dass irgendwo ein Schiff auftaucht. Angestrengt starre ich in die Dunkelheit. Nicht ein einziger Stern leuchtet durch die dichte Wolkendecke und auch die schmale Mondsichel von gestern ist verschwunden. Es ist stockfinster. Den Gedanken, dass ein unbeleuchtetes Treibgut auf uns zukommen könnte, verscheuche ich schnell wieder. Wir könnten es unmöglich sehen.

Noch 500 Meilen bis Neuseeland liegen vor uns. Bei mäßigen Winden aus wechselnden Richtungen machen wir um die 125 Meilen in vierundzwanzig Stunden (=Etmal). Unsere geschätzte Ankunftszeit (=ETA) wird also am Sonntag sein. Daraus ergibt sich ein ungewohntes Problem. Wir haben noch zu viele Lebensmittel an Bord. Bisher waren wir immer froh über unsere eingekochten und getrockneten Reserven. In Neuseeland sind die Einfuhrbestimmungen für Fleisch, Milchprodukte, Eier, Nüsse, Honig, Obst und Gemüse sehr streng. Es sollen keine Insekten und Keime ins Land eingeschleppt werden, die die eigene Landwirtschaft gefährden könnten. Ebenso mussten wir vor der Überfahrt das Unterschiff sorgfältig von Algen- und Muschelbewuchs reinigen.

Das wäre geschafft! Lois gönnt sich ein Nachmittagsschläfchen und ich suche mir im Cockpit eine windgeschützte Ecke für meine tägliche Schreibstunde. Die Fischlaibchen mit Reis und Gurkensalat und der Kaffee zum Abschluss haben sehr gut geschmeckt. Die Zubereitung erforderte allerdings höchste Konzentration und Körperbeherrschung.

Eine Ameise im Bad, eine in der Schlafkabine und noch eine am Navigationstisch, wo kommen die nur her? Es sind nicht viele, aber sie sind lästig. Schon seit Wochen tauchen sie überall auf und werden erbarmungslos mit einem Daumendreh vernichtet. Wenn wir von Landgängen zurückkommen, sind wir fast pingelig darauf bedacht, die Schuhe zu waschen und die Einkäufe zu kontrollieren. Trotzdem sind die Quälgeister irgendwo an Bord gekommen.

..bei uns zum Glück noch nicht. Doch die Luft wird immer eisiger und nach der langen Zeit in tropischen Gefilden klappern uns die Zähne. Jedes Grad nach Süden bedeutet ein Grad weniger am Thermometer. So heißt es und es stimmt tatsächlich. Wir sind abgefahren bei 21° Süd und befinden uns jetzt auf 32° Süd. In der Nacht klettert die Anzeige nur mehr auf siebzehn Grad. Verbunden mit dem Wind sind das für uns "Weichlinge" schon antarktische Temperaturen.

Wind: WNW 20, Geschwindigkeit: 8-10 Knoten, See: rauh
Endlich ist er da der Westwind! Wie die wilde Jagd reiten wir durch die dunkle Nacht unserm Ziel entgegen, der Orion über uns, das Kreuz des Südens schräg vor uns und auch der zunehmende Mond schaut zwischen den Wolken hervor auf unserer letzten Nachtfahrt. Um 02Uhr45 zeigt der AIS-Empfänger ein Schiff an. Noch ist es fünfundzwanzig Meilen entfernt, kommt aber genau auf uns zu. Das ist kaum zu glauben. So weit ist der Ozean, trotzdem fährt das einzige Schiff in acht Tagen genau auf unserem Kurs.

Der schmale Kanal zur "Marsden Cove Marina" ist gut markiert und beleuchtet. Trotzdem sind wir froh, noch vor Einbruch der Dunkelheit anzukommen. An backbord setze ich die Fender. Elegant möchten wir umdrehen und am Zollsteg anlegen. Plötzlich stirbt der Steuerbordmotor ab. Nach erfolglosen Startversuchen und Anstieg des Adrenalinspiegels bemerken wir das Seil, das sich im Propeller verfangen hat. Sofort ist ein hilfsbereiter Kiwi mit seinem kleinen Fischerboot zur Stelle und unterstützt uns beim Anlegemanöver.

Zwei Tage bleiben wir in der "Marsden Cove Marina" und gewöhnen uns bei aromatischem Espresso und Capuccino an den Gedanken, in Neuseeland angekommen zu sein. So unheimlich weit entfernt war dieses Ziel. Jetzt sind wir tatsächlich da und unterhalten uns ganz locker mit dem Barkeeper, dem Verkäufer im kleinen Geschäft und der Dame in der Rezeption. Dass wir um die halbe Welt gesegelt sind, scheint sie echt zu beeindrucken. Natürlich sind wir damit nicht alleine, schweben aber irgendwie auf "Wolke 7" und kosten dieses Gefühl so richtig aus.

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